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Bindungstypen und Auswirkungen auf das spätere Leben - Teil 2

Bindungstyp B: Die sichere Bindung

Die sichere BindungCirca 50 bis 60 Prozent aller Kinder zeigen dieses Bindungsverhalten. Bei sicher gebundenen Kindern sind Bindungs- und Explorationsverhalten tatsächlich im Wechsel beobachtbar. Verlässt die Bezugsperson den Raum, zeigen Kinder ihre Gefühle durch weinen, schreien etc. In dieser Stresssituation lassen sie sich auch nicht von fremden Personen trösten. Kehrt die Bezugsperson zurück, suchen die Kinder sofort die Nähe dieser und lassen sich schnell trösten. Anschließend erkundet das Kind wieder den Raum und sucht auch Kontakt zu fremden Personen. Kinder mit dieser Bewältigungsstrategie drücken ihre Gefühle frei aus. Das durch die Stresssituation produzierte Cortisol nimmt sofort wieder ab, wenn die Bezugsperson wieder da ist und das Kind getröstet hat.

Bezugspersonen von sicher gebundenen Kindern bieten Nähe und Schutz in Situationen an, in denen es die Kinder benötigen. Sie unterstützen allerdings auch das Explorationsverhalten ihrer Sprösslinge angemessen. Mütter und Väter von sicher gebundenen Kindern gehen feinfühlig auf ihre Nachkömmlinge und deren Verhalten ein.

Positive Auswirkungen der sicheren Bindung:

Kinder profitieren bis ins Erwachsenenalter von einer sicheren Bindung. Menschen mit einem sicheren Bindungsstil vertrauen häufig in sich selbst und ihre eigenen Fähigkeiten, zeigen eine hohe Lernbereitschaft, können konstruktiv mit stressigen Situationen umgehen und sind kontaktfreudig. Das Risiko für psychische Erkrankungen ist weitaus geringer als bei unsicheren Bindungstypen.

Bindungstyp C: Die unsicher-ambivalente Bindung

Die unsicher ambivalente BindungUngefähr 10 bis 20 Prozent aller Kinder zeigen dieses Bindungsverhalten. Unsicher-ambivalente Kinder zeigen hingegen ein ausgeprägtes Bindungsverhalten und kaum Explorationsverhalten. Bei einer Trennung von der Bezugsperson reagieren diese Kinder besonders verunsichert. Sie weinen, schreien, laufen zur Tür und zeigen extremes Bindungsverhalten. Kehren Mutter oder Vater zurück, können diese das Kind allerdings auch nicht beruhigen. Einerseits suchen unsicher-ambivalente Kinder zwar die Nähe zu ihrer Bezugsperson, andererseits verspüren diese aber auch einen großen Ärger und stoßen Mutter oder Vater beispielsweise weg - nur um daraufhin erneut Kontakt zu suchen. Auch in
Anwesenheit der Eltern zeigen die Kinder wenig Explorationsverhalten oder Interaktion mit fremden Personen. Da den Kindern ein angemessenes Explorationsverhalten fehlt, bleibt auch bei ihnen der Cortisolspiegel über mehrere Stunden hinweg erhöht.

Bei unsicher-ambivalenten Bindungsmustern zeigt sich ebenfalls eine Anpassung auf das Verhalten der
Bezugspersonen. In manchen Situationen bieten die Bezugspersonen Nähe und Schutz an und in anderen Situationen weisen sie ihre Kinder wiederum ab. Das sorgt für große Verunsicherung. Die Kinder wissen nicht, wie Mutter oder Vater in Zukunft reagieren, weshalb sie ihr Bindungsverhalten unbewusst verstärken, um im Notfall auch tatsächlich den Schutz der Mutter/des Vaters in Anspruch nehmen zu können.

Folgen im Erwachsenenalter:

Im Gegensatz zum unsicher-vermeidenden Bindungsstil benötigen Menschen mit einem unsicher-ambivalenten Bindungsstil viel Bestätigung in ihren Beziehungen. Sie fühlen sich wertlos ohne die ständige Rückversicherung des Partners, dass sie noch geliebt werden. Es fällt ihnen schwer, das Vertrauen in die Stabilität der Beziehung in sich zu verankern. Menschen mit einem unsicher-ambivalenten Bindungsstil fürchten ständig verlassen zu werden und benötigen sehr viel Nähe. Da sich Menschen mit diesem Bindungsstil mehr auf die Bedürfnisse der anderen als auf die eigenen konzentrieren, werden sie häufig als sehr aufmerksam, freundlich und großzügig wahrgenommen. Menschen mit unsicher-ambivalenten Bindungsstil neigen zum Grübeln und Überanalysieren von Situationen. Werden diese Menschen zurückgewiesen, strengen sie sich noch mehr an. Häufig zeigen Personen mit diesem Bindungsmuster ein geringes Selbstvertrauen und Schwierigkeiten bei der Gefühlsregulierung. Das Risiko an Depressionen oder Angststörungen zu erkranken ist damit erhöht.

Bindungstyp D: Die unsicher-desorganisierte Bindung

Die unsicher desorganisierte BindungCirca 5 bis 10 Prozent der Kinder weisen dieses Bindungsmuster auf, welches als beginnende Psychopathologie zu werten ist. Bei der unsicher-desorganisierten Bindung zeigen sich bizarre Verhaltensweisen bei Trennung und Wiedervereinigung mit Bezugspersonen. Sie wissen nicht, wie sie mit diesen Stresssituationen umgehen sollen und zeigen beispielsweise kaum Gefühle oder Reaktionen oder führen immer wieder die gleichen Bewegungen aus (repetitive Bewegungsabfolgen). Die Situation stellt einen Kontrollverlust für das Kind dar und es fühlt sich überwältigt, hilflos und ohnmächtig. Haben Kinder widersprüchliche Erfahrungen mit ihrer Bezugsperson gemacht, tritt dieser Bindungstyp häufig auf. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn die Bezugsperson den Kindern einerseits Sicherheit bietet, andererseits aber auch eine Quelle der Angst darstellt. Das Kind weiß
daher nicht, wie es sich verhalten soll. Dieses Bindungsmuster ist bei Missbrauchserfahrungen zu beobachten. Der Cortisolspiegel von desorganisiert gebundenen Kindern ist nicht nur eine längere Zeit nach der Trennungssituation erhöht, sondern dauerhaft.

Folgen im Erwachsenenalter:

Kinder, die einen desorganisierten Bindungsstil zeigen, haben es im späteren Erwachsenenleben besonders schwer: Da sie als Kind keine einheitliche Bindungsstrategie entwickeln konnten und die Welt einen bedrohlichen Ort für sie darstellt, nehmen sie auch spätere Partner/Freunde etc. als Teil dieser Bedrohung wahr. Die traumatischen Kindheitserfahrungen wiederholen sich in Partnerschaften oft. Menschen mit einem desorganisierten Bindungsstil neigen häufig unbewusst dazu, sich gewalttätige Partner/innen (oder Partner/innen, die einem nicht gut tun) auszusuchen. Dramatische, verletztende Situationen wiederholen sich dadurch oft. Das Risiko für psychische Erkrankungen wie beispielsweise Depressionen oder Suchtverhalten ist deutlich erhöht.

Bindungsstörungen

Bis ein Kind tatsächlich eine Bindungsstörung entwickelt, müssen viele Risikofaktoren zusammenkommen. Grundsätzlich sind Bindungsstörungen nur sehr selten, weshalb man unbedingt von vorschnellen Zuschreibungen absehen sollte. Laut ICD-11 wird zwischen einer reaktiven Bindungsstörung und einer Bindungsstörung des Kindesalters mit Enthemmung unterschieden. Besteht der Verdacht auf eine Bindungsstörung, muss Fachpersonal zu Rate gezogen werden (Fachärzt/innen für Kinder- und Jugendpsychiatrie). Wenn Sie mehr über Bindungsstörungen erfahren möchten, lesen Sie gerne die folgenden Ratgeber.